Ein Angriff auf betreuende Angehörige
Die Medienschaffenden von der SonntagsZeitung, dem Tages-Anzeiger und 20 Minuten haben am vergangenen Sonntag einen gefährlichen Pfad eingeschlagen. Ihre Berichterstattung über ein Bundesgerichtsurteil schiesst auf die Falschen: die betreuenden Angehörigen. Die betroffenen Menschen sind fassungslos, denn wenn ihre Carers die Arbeit einstellen würden, stünde das soziale und gesundheitliche Netz der Schweiz vor dem Kollaps.
Die SonntagsZeitung startete am letzten Wochenende eine Attacke, die der Tages-Anzeiger und 20 Minuten dankbar aufgriffen. Die zentrale Botschaft: Betreuende Angehörige seien massgeblich verantwortlich für die steigenden Gesundheitskosten und den "Prämien-Horror". Besonders betroffen ist eine Betreuungsleistung, die schlecht geredet wurde.
Ein Beispiel dafür ist die Unterstellung, eine betreuende Angehörige fordere 15'000 Franken Lohn für die Pflege ihres erwachsenen Sohnes. Das entspricht schlicht nicht der Wahrheit. Die eigentliche Klage drehte sich darum, ob Betreuungsleistungen durch Familienangehörige im Falle von psychisch beeinträchtigten Personen über die Krankenversicherung abgerechnet werden können. Das Einkommen, das bei der betreuenden Angehörigen ankommt, ist in der Realität nur ein Teil davon.
Insbesondere bei psychisch erkrankten Menschen, wie im Fall von Autismus oder der Volkskrankheit Demenz, steigen die Betreuungsanforderungen ins Unermessliche. Das ist eine Realität, die wir bei Swiss Carers aus vielen besorgten Anfragen kennen.
Die bittere Wahrheit ist, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen oft keine Hilfe von ständig wechselndem Fachpersonal akzeptieren. Um eine kontinuierliche und wirksame Pflege zu gewährleisten, stehen daher häufig betreuende Angehörige neben den Fachpersonen und unterstützen diese. Ist es nicht logischer und wirtschaftlicher, wenn die Person, die die Pflege am besten kennt und der Patient vertraut, diese leistet? Stichwort: Fachkräftemangel im Gesundheitswesen.
Und warum sollten diese Betreuungsleistungen – selbst wenn sie von Familienangehörigen wie Partnern, Müttern, Vätern, Enkeln oder Geschwistern erbracht werden – nicht angemessen vergütet werden? Es ist uns Carers letztlich egal, ob die Vergütung über die Krankenversicherung, die Hilflosenentschädigung, den Assistenzbeitrag oder Betreuungszulagen erfolgt. Siehe Finanzhilfe-Ratgeber für betreuende Angehörige.
In der Fachwelt besteht ein breiter Konsens darüber, dass die Entschädigung solcher Betreuungsleistungen verbessert werden muss. Dies könnte teure Notfalleintritte in Spitäler und frühzeitige Heimunterbringungen verhindern, was wiederum die Kosten (Krankenkassenprämien- oder Steuern) für die Bevölkerung reduzieren würde.
Um den Unterschied klarzumachen: Die Mutter, die in dem Gerichtsurteil genannt wird, erbringt wahrscheinlich Leistungen, die sich die meisten von uns kaum vorstellen können. Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Autismus oder Demenz benötigen oft eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung, die schnell 20'000 bis 30'000 Franken pro Monat kosten kann, die aus der eigenen Tasche bezahlt werden muss. An dieser Stelle: Herzlichsten Dank Frau B. für Ihr Engagement!
Es ist inakzeptabel, dass fehlende Vergütungsmodelle für "Betreuung" im Schweizer System auf Kosten der betreuenden Angehörigen gehen. Diese Menschen fehlen dann im Arbeitsmarkt oder wenn sie unbezahlte Care-Arbeit leisten sind sie später oft auf Sozialhilfe angewiesen. Die wahren Kostentreiber sind der medizinische Fortschritt, die demografische Entwicklung und der soziale Wandel. Anstatt die gesellschaftlich unersetzbare Ressource "betreuende Angehörige" zu attackieren, sollten Sie, liebe Tamedia-Medienschaffende, keine Instrumentalisierung zulassen und uns neue Lösungen präsentieren.
Eines steht fest: Wenn betreuende Angehörige ihren Dienst quittieren, wird das soziale und gesundheitliche System zusammenbrechen.
Gemäss Gesundheit - Taschenstatistik 2024 sind in der Schweiz 17 % der Bevölkerung auf informelle Hilfe durch Familie oder Freunde angewiesen – das ist über dreimal mehr als durch die Spitex betreut werden. Nur wenige dieser Carers erhalten oder wollen einen Lohn dafür.
In immer mehr Fällen ist es jedoch aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll, die Leistungen der betreuenden Angehörigen angemessen zu entschädigen. Wir von Swiss Carers fordern, dass zukünftige Berichterstattungen dieser Realität gerecht werden.
An alle Carer, bitte kommentiert den "Horror-Artikel" von 20 Minuten, indem Du dich an der Umfrage beteiligst, um Frau B. zu unterstützen: Sollten pflegende Angehörige psychisch Erkrankter entlöhnt werden?https://www.20min.ch/story/lohn-fuer-pflegende-angehoerige-bundesgericht-verschaerft-den-praemien-horror-103128610