Faire Spitex-Anstellung auf dem Prüfstand!
Die Debatte darüber, ob pflegende Angehörige, die über Spitex angestellt werden, in rigide arbeitsrechtliche Vorgaben gepresst werden sollen, ist ein Schlag ins Gesicht der Menschlichkeit. Es geht nicht darum, ein neues Berufsfeld zu schaffen, sondern um die Anerkennung einer Herzensangelegenheit – die Freiheit, liebevoll und flexibel für unsere Angehörigen da zu sein, ohne in ein bürokratisches Zwangssystem gedrängt zu werden.
In der professionellen Pflege bestimmen formale Qualifikationen, wer mit welcher Ausbildung welche Aufgaben übernehmen darf.
Pflegende Angehörige lassen sich jedoch nicht in solche starren Raster pressen. Sie handeln intuitiv, aus tiefer emotionaler Bindung und persönlicher Verantwortung.
Sie pflegen nicht, um einen Job abzuhaken, sondern um ihren Liebsten genau das zu geben, was sie am meisten brauchen. Sie leisten, was notwendig ist – auch nachts, wenn kein professioneller Dienst verfügbar ist.
Der Versuch, diese unschätzbare, spontane Fürsorge in ein System von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) und Normalarbeitsverträgen (NAV) zu zwängen, greift untragbar in ihre Verhandlungs- und Wahlfreiheit ein.
Ein Schema, das zur Industrie passt –
aber nicht zur familiären Fürsorge
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich das Betreuungsnetz für ein Familienmitglied organisierte – bis zu seinem 99. Lebensjahr.
Ein selbstorganisiertes System aus Nachbarn, Spitex, Betreuerinnen, Entlastungsdiensten und sogar Studierenden hielt dieses fragile Gefüge zusammen und sprang immer dann ein, wenn Lücken entstanden – selbst wenn das eine Stunde Hin- und Rückfahrt bedeutete.
Als Sandwich-Carer jonglierte ich mein Berufsleben mit Babyalltag und Kleinkindbetreuung. Wer hätte gedacht, dass dieses unkonventionelle, liebevolle Engagement eines Tages in ein starres Arbeitsmodell gezwängt werden soll?
Niemand möchte seinen persönlichen Beitrag zur Angehörigenpflege in die Schablone einer A-, B- oder C-Leistung pressen – das raubt Freiheit, nimmt Motivation und zerstört den wahren Wert des Engagements.
Eine Stunde Entschädigung führt zu Neiddebatten –
ein PR-Scheinargument auf Standesdünkel gebaut
Oft wird behauptet, pflegende Angehörige könnten mit einer bezahlten Pflegearbeit von ein bis zwei Stunden täglich – bei einem Stundensatz von 35 bis 45 Franken – mehr verdienen als professionelle Pflegefachpersonen.
Doch mal ehrlich: Welcher Profi würde eine Stelle mit nur 10 % Pensum annehmen, wenn seine volle Kompetenz und jahrelange Ausbildung auf dem Spiel stehen?
Diese Meinungsmache bedient gezielt Standesdünkel und Neidmotive – ein polemischer Ansatz private Anbieter systematisch zurückzudrängen.
Wahlfreiheit und Verhandlungsautonomie –
unverzichtbare Prinzipien
Pflegende Angehörige bringen jahrzehntelange Berufs- und Lebenserfahrung mit – sei es als Manager, Rettungssanitäter, Lehrperson, Künstlerin, Polizist oder in anderen Berufen.
Sie suchen keinen neuen Job, in dem ihnen vorgeschrieben wird, wie sie ihre Fürsorge zum Ausdruck bringen sollen. Ihre Arbeit entspringt einer tiefen persönlichen Überzeugung und dem Bedürfnis, Verantwortung für ihre Liebsten zu übernehmen.
Ein Arbeitsrechtliches Korsett, das diese Freiheit einschränkt, greift in das fundamentale Prinzip der freien Verhandlungs- und Wahlfreiheit ein.
Der hohe Preis der Regulierung –
ein System, das nicht passt
Wenn Politikschaffende das hochgradig selbstorganisierte System der pflegenden Angehörigen in eine Command & Control-Struktur mit starren Arbeitsvorgaben und bürokratischen Vorschriften zwingen, spielen sie mit dem Feuer.
Was passiert, wenn solche Regulierungen dazu führen, dass die unschätzbare unentgeltlich erbrachte Pflege aufgrund fehlender finanzieller Anreize und Absicherung drastisch abnimmt?
Wer trägt dann die Verantwortung, wenn private Betreuungsnetzwerke aufgrund mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung oder medialer Verunsicherung zusammenbrechen, weil die Menschen keine Lust mehr haben?
Pflegeheime können ohnehin nicht in ausreichender Zahl gebaut werden, um den wachsenden Betreuungsbedarf einer Aging Society zu decken.
Es wäre absurd, wenn wir am 30. Oktober – dem Tag der betreuenden Angehörigen – die betreuten Menschen einfach vor die Gemeindehäuser rollen und uns kollektiv einen reglementierten Ruhetag zum Wandern gönnen.
Wenn ein fehlreguliertes System den individuellen Bedarf nicht mehr abbilden kann – wer springt dann ein? Das Militär? Der Zivilschutz? Die Feuerwehr? Und würde die Qualität dann den aktuell geforderten Standards entsprechen?
Krankenkassen, Kantone und Gemeinden in der Pflicht
Selbst wenn diese Pflegezulagen von monatlich 1000 bis 1500 Franken über die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) und die Pflegefinanzierung fliessen, darf dieser gesetzliche Anspruch nicht durch undurchsichtige Tarifsenkungen, überhöhte Ausbildungs- und vermeintliche Qualitätsanforderungen oder weitere Einschränkungen, wie Altersguillotinen entwertet werden.
Wir dürfen nicht denselben Fehler wiederholen, der die professionelle Pflege einst in eine starre, industrielle Struktur gezwängt und dadurch unattraktiv gemacht hat – mit dem Ergebnis, dass sie nun durch aufwendige und kostspielige Pflegeinitiative mühsam saniert werden muss.
Stattdessen sollten politische Entscheidungsträger vorausschauend neue Wege finden, diesen Bereich nachhaltig zu stärken – ohne den persönlichen, flexiblen, selbstorganisierenden Charakter der Angehörigenpflege zu opfern.
Hochqualifizierte Spitex-Mitarbeitende können pflegenden Angehörigen in komplexen Fällen weit mehr bieten als eine blosse finanzielle Teilentschädigung – sie leisten fachliche Unterstützung, übernehmen professionelle Koordination der vielen involvierten Akteure, fördern die soziale Integration und entlasten mental.
Dafür ist es unerlässlich, dass Spitex-Organisationen eine ausgeprägte Kultur der Angehörigenorientierung entwickeln, ein kundenorientiertes, modulares Leistungsangebot bereitstellen, moderne digitale Unterstützungssysteme einsetzen und eine angemessene Finanzierung erhalten – alles Aspekte, die sowohl im Qualitätsrahmen als auch in der Tarifgestaltung einer vorausschauenden Gesundheitspolitik verankert sein müssen.
Angehörigenpflege ist keine Maschine – es geht um Herz und Freiheit
Pflegende Angehörige leisten einen unschätzbaren gesellschaftlichen Beitrag. Sie suchen keinen neuen Job, sondern tun das, was notwendig ist, um ihre Liebsten bestmöglich zu unterstützen – oft unter enormen Belastungen und nach langen Berufswegen.
Der Versuch, ihre Leistung durch die Inanspruchnahme eines Anerkennungsbeitrags als Abzockerei darzustellen, ist ein durchsichtiges Manöver. Es bedient die Angst der Bevölkerung vor steigenden Krankenkassenprämien – und dient letztlich dazu, die eigenen Bilanzen zu entlasten.
Freiräume statt starre Ketten
Pflegende Angehörige brauchen keine zusätzliche Bürokratie, die sie in ein reguliertes Arbeitsverhältnis zwingt. Sie benötigen finanzielle Absicherung, wo es notwendig ist, flexible fachliche Unterstützung und organisatorische Entlastung – alles, ohne ihren individuellen und anpassungsfähigen Pflegestil zu gefährden.
Es liegt an den politischen Entscheidungsträgern und der Gesellschaft, den wahren Wert der Angehörigenpflege anzuerkennen und zu schützen.
Wenn wir diese Freiräume opfern, verlieren wir nicht nur die Seele der Angehörigenbetreuung, sondern auch das Herz unserer Gesellschaft.
Swiss Carers fordert daher ein kritisches Hinterfragen der aktuellen politischen Vorstösse und appelliert an die Entscheidungsträger, echte politische Dialoge zu ermöglichen – mit pflegenden Angehörigen als gleichwertige Gesprächspartner am Tisch.
Nur so lassen sich nachhaltige und innovative Lösungen entwickeln, anstatt die Angehörigenpflege in ein unpassendes Einheitsmodell zu zwängen, das von Verbänden mit eigenen Interessen gesteuert wird.